Zwei lange Jahre ist es nun bereits her, dass zuletzt ein offizielles Agromed-Komitee beninischen Boden betreten hat. Damals noch mit einem Holzmodell der geplanten, neuen Gesundheitsstation in der Tasche, entworfen durch unser Vereinsmitglied, den Architekten Lukas Freitag. Die Vorstellung dieses Modells war ein voller Erfolg, die Bevölkerung Adjadjis kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, und auch wir waren voller Tatendrang, das neue Projekt so schnell wie möglich umzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt konnte (noch) keiner richtig ahnen, dass die COVID-Pandemie die kommenden zwei Jahre dominieren und einen Beninbesuch erst einmal unmöglich machen würde.
Was wir damals noch nicht ahnen konnten: Unsere Gesundheitsstation in Adjadji musste aufgrund neuer staatlicher Regelungen und behördlicher Auflagen für zwei Jahre schließen und ein neuer Chefpfleger mit den von den offiziellen Stellen geforderten Voraussetzungen gefunden werden. In dieser Zeit haben wir versucht, die Gesundheitsversorgung im Dorf mit Hausbesuchen Hausbesuchen („visite domicile“) so gut es ging aufrechtzuerhalten. Ende 2021, nach langer Durststrecke, haben wir Serge Litchabo endlich einen neuen Krankenpfleger gefunden, der die geforderten Voraussetzungen erfüllt.
Im Rahmen einer privaten Westafrika-Rundreise von September bis Dezember 2021 hatte ich die Möglichkeit Serge wie auch unsere Partner aus dem Dorf Adjadji, mit denen wir teilweise schon seit 20 Jahren zusammenarbeiten, zu treffen. Es war ein gutes Gefühl, endlich wieder vor Ort in unserem Projekt zu sein und die herzliche Gastfreundschaft unserer Freunde zu spüren. Im Rahmen meiner Reise stellte Serge auch seine Pläne für eine Neuorganisation der Gesundheitsstation vor, teilweise mit guten Ansätzen. Nach einer langen Sitzung, in der Serge seine Pläne den Mitarbeitern und dem Dorfvorstand mitteilte, gab es Zustimmung, Ablehnung und teilweise auch Verwirrung. Nichtdestotrotz konnte unsere Gesundheitsstation Anfang Dezember wieder öffnen und erste Patienten versorgen, wenn auch in etwas abgespeckter Form, da nach zwei Jahren viele Medikamente abgelaufen waren und zunächst neu beschafft werden mussten.
Nach meinen zwei Besuchen in unserem Projekt im letzten Dezember war mir klar, dass unbedingt zeitnah eine offizielle Agromed-Delegation nach Benin kommen und die Neuorganisation der Station mitbetreuen musste. Nach meinem Eindruck gab es zu der geplanten Neuorganisation zu viele Unklarheiten und auch unterschiedliche Meinungen und Interessen, die sich nicht direkt lösen ließen. So kam es, dass trotz aller „Corona-Unwägbarkeiten“ und dem Risiko einer Quarantäne in Benin bei positivem Testergebnis vor Abflug, Ende Februar 2022 ein Agromed-Komitee nach Benin reiste. Dieses bestand aus meinen Eltern, Nicole und Clemens Wagner, und mir. Ich habe mich wahnsinnig gefreut, nach zwei Monaten direkt wieder nach Benin fliegen zu können, insbesondere da ich somit direkt den kurzfristigen Verlauf der Umstrukturierung der Gesundheitsstation sehen konnte.
Ein positiver Start unserer Reise
Wir landeten am späten Abend des 26.02. in Cotonou. Trotz einer Verspätung erwarteten uns unsere treuen Freunde aus dem Dorf zusammen mit Léon, unserem langjährigen Koordinator vor Ort. Den Abend verbrachten wir noch mit einem Bier im Restaurant „Livingstone“ und tauschten uns aus - nach zwei Jahren galt es, uns gegenseitig wieder auf den aktuellen „Lebensstand“ zu bringen!
Am Folgetag ging es direkt in das Projekt zur ersten gemeinsamen Arbeitssitzung. Der Zeitplan war dicht getaktet. Unsere Partner fassten die Arbeit seit der Wiedereröffnung der Ambulanz im
Dezember zusammen. Es war schön mitzubekommen, dass die ersten Patienten aus dem Dorf wieder Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung bekommen haben und die ersten Krankheiten auch mit
Erfolg behandelt werden konnten. Allerdings stellten wir auch fest, dass anfangs nur durchschnittlich 1,5 Patienten am Tag die Gesundheitsstation aufsuchten. Schnell wurde klar, dass das
insbesondere an den erhöhten und etwas ambitionierten Konsultationsgebühren und Medikamentenpreisen lag, die sich die Dorfbevölkerung einfach nicht leisten kann. Kurz vor unserer Anreise wurde
dann festgelegt, dass eine Konsultation kostenfrei sein soll – ein Schritt in die richtige Richtung.
Am Nachmittag hatten wir noch ein sehr konstruktives Gespräch mit den beiden Dorfvertretern, Isidor und Cyprien. Letzterer ist gleichzeitig auch Präsident unserer lokalen Partner-ONG
(Nicht-Regierungsorganisation) „AVDA“. Hier wurde deutlich, dass bei der Neuorganisation die Interessen des Dorfes nur unzureichend gehört wurden. Wir haben noch einmal klargestellt, dass die
wichtige Prämisse unseres deutschen Vereins Agromed die Gewährleistung einer kostengünstigen, medizinischen Grundversorgung für die Bevölkerung auf dem Land. Dies soll auch so bleiben.
Auch die Geburtsstation soll wieder öffnen
Ein weiteres Anliegen der Dorfvertreter war die Wiedereröffnung der Geburtsstation, die bis heute geschlossen ist - ebenfalls wegen behördlicher Auflagen und einer geforderten baulichen
Anpassung, die unsere finanziellen Möglichkeiten leider übersteigt. Eventuell bekommen wir hier Unterstützung durch eine finanzielle Förderung der deutschen Botschaft in Benin, womit die
erforderlichen behördlichen Auflagen umgesetzt werden könnten. Dies würde ungemein helfen, da viele schwangere Frauen keine vernünftige Vorsorge bekommen – mit ein Grund für die hohe
Kindersterblichkeit.
In den folgenden zwei Tagen gab es verschiedene Gespräche in unterschiedlichen Konstellationen, in denen jede Partei ihren Standpunkt darlegen konnte. So wurden die einzelnen Themen langsam aber
stetig durchgesprochen und Probleme angegangen. Abends hatte man dann aber frei und konnte gemütlich am Straßenrand Fisch essen oder ein Bierchen (oder Pastis) mit Freunden trinken. Das lokale
Bier „La Béninoise“ schmeckt einfach immer wieder gut! So konnte ich erfreulicherweise noch Christoph, einen Freund von mir, den ich im Dezember bei meinem vorherigen Aufenthalt kennengelernt
hatte, und seine Freundin kurz vor deren Weiterflug nach Kapstadt treffen und abends mit einigen Surfkollegen einen Gin Tonic am Strand trinken.
Am Mittwoch, also quasi zur Halbzeit unseres Aufenthaltes, fuhren wir erneut in unser Projektdorf Adjadji - wir hatten ein Treffen mit den „femmes balayeuses“, den Kehrfrauen. Sie sorgen für die
Sauberkeit im Dorf und werden von uns seit Jahren unterstützt. Die Gruppe besteht aus mehreren Frauen unterschiedlichsten Alters und ist echt faszinierend. Jedes Mal, wenn wir vor Ort sind,
bekommen wir beeindruckende Gesangs- und Tanzeinlagen, an denen wir uns natürlich brav beteiligen – auch wenn immer wieder deutlich wird, wie unglaublich beweglich Westafrikaner sein können. Oder
wie unbeweglich wir Europäer dagegen sind. Vielleicht lag es aber auch einfach an der anwesenden Delegation…
Im Anschluss an unsere Sitzung wurden wir wie jedes Jahr reichlich mit köstlichen Ananas und noch köstlicherem (hier gehen die Meinungen auseinander) Sodabi, Schnaps aus Palmwein, beschenkt.
Schön war auch zu sehen, dass unsere Spenden an die „femmes balayeuses“ sinnvoll und humorvoll genutzt wurden. Sie haben damit u.a. Stoffmasken gekauft und diese sogar mit dem Agromed-Logo
bedrucken lassen! Das hat uns sehr gefreut, und wir haben auch gleich welche für unsere deutschen Freunde mitbekommen.
Unterstützung durch die lokalen Behörden
Nachmittags hatten wir dann noch ein offizielles Treffen mit dem Bürgermeister der Gemeinde von Lissegazoun. Adjajdi ist Teil dieser Gemeinde. Hier wurde noch einmal klar, dass die Bevölkerung der Region auf eine gut funktionierende Gesundheitsstation angewiesen ist, und wir wurden ein weiteres Mal bestärkt, an der Planung eines größeren Neubaus einer Gesundheitsstation festzuhalten. Bei aktuell 1,5 Patienten pro Tag ist dies zum jetzigen Zeitpunkt nicht realisierbar, aber es bleibt auf jeden Fall ein Plan für die Zukunft. Das Gespräch mit dem Bürgermeister hat zumindest Mut gemacht, und er hat uns seine Unterstützung zugesichert.
Donnerstag war dann der erste komplett freie Tag. Hier konnten wir uns am Vormittag um den benötigten PCR-Test für die Ausreise aus Benin kümmern. Ein spannender Moment, der noch spannender wurde, da das Testergebnis meiner Mutter und mir online nicht abzurufen war. Normalerweise ein schlechtes Zeichen …. Ein positives Testergebnis hätte zwei Wochen Quarantäne bedeutet. Diesmal war es jedoch zum Glück nur ein EDV-Problem, aufregend war es allerdings trotzdem.
Am Nachmittag haben wir uns dann eine eindrückliche Ausstellung im Präsidentenpalast angesehen. Ende 2021 wurden nach langen Gesprächen, Diskussionen und Gesetzesänderungen die ersten
Raubkunstwerke aus Frankreich wieder zurück in das Ursprungsland Benin gebracht. Diese wurden Ende des 19. Jahrhunderts u.a. durch die Kolonialmacht Frankreich entwendet und nach Europa
verschifft. Jetzt sind sie in den rechtmäßigen Besitz zurückgekommen und werden öffentlich ausgestellt. Es sind sehr beeindruckende Gegenstände der ehemaligen Könige des heutigen Benins. Es
wurden große Throne, Schmuck und Skulpturen gezeigt. Schön war auch zu sehen, dass sehr viele Beniner, jung und alt, die Ausstellung besucht haben und fasziniert waren. Für sie war es ein
richtiger „Sonntagsausflug“, viele waren sehr schick angezogen und mit Freunden oder der Familie unterwegs.
Eine gute Basis für die weitere Arbeit
Am Freitag, dem letzten „offiziellen“ Tag der diesjährigen Projektreise fand das Abschlussgespräch mit allen an der Gesundheitsstation Beteiligten statt. Dazu luden wir unsere lokalen Kollegen in
unser Hotel nach Cotonou ein. In den Tagen vorher wurden die Probleme ausführlich besprochen, jetzt war es an der Zeit, Entscheidungen zu treffen. Es wurde viel diskutiert, teilweise sehr
intensiv, auch im Kreis unserer beniner Kollegen. Nichtsdestotrotz konnte am Ende eine klare Linie festgelegt werden, die für alle Parteien zufriedengestellt hat.
Viel Arbeit liegt vor uns - vor allem für unser Projektteam vor Ort: Die Gesundheitsstation muss wieder richtig anlaufen, die medizinische Grundversorgung im Dorf wieder gewährleistet sein. Mit
dem neuen, sehr motivierten Chefpfleger Serge Litchabo kann das nach unserem Eindruck erreicht werden. Mit ein bisschen Glück kann auch die Geburtshilfe, nach einem finanziellen Zuschuss der
deutschen Botschaft, wieder öffnen. Und wenn die Patientenzahlen dann hoffentlich bald steigen, kann man auch in naher Zukunft über einen Neubau der Gesundheitsstation nachdenken.
Für den Moment ist es jedoch am wichtigsten, dass die Gesundheitsstation überhaupt wieder aufmachen konnte und die lokale Bevölkerung Zugang zur medizinischen Versorgung hat. Diese Hürde haben
wir bereits genommen - und macht Mut für mehr.
Unseren letzten Tag haben wir entspannt mit unseren langjährigen deutschen Freunden vor Ort verbracht, am Strand unter Palmen Mittag gegessen, Karten gespielt und einfach die wunderbare
beninische Atmosphäre genossen. Wir waren sogar im Meer, allerdings nicht weit draußen, da die Strömungen vor der westafrikanischen Küste gefährlich werden können. Abends sind wir dann noch in
eine gemütliche Bar gegenüber vom Flughafen gegangen. Meine Mutter und ich haben noch eine Runde Billard gespielt. Meine Niederlage war eigentlich schon entschieden, doch dann konnte ich mit
etwas Glück doch noch gewinnen. Da war mir wohl der beninische Billardgott wohlgesonnen! Am Flughafen wurden wir dann noch von unseren beninischen Freunden herzlich verabschiedet.
Alles in allem war es eine spannende Woche! Nach all den Schwierigkeiten der letzten zwei Jahre fährt alles langsam wieder hoch. Viele Probleme konnten in konstruktiven Gesprächen gelöst werden,
und jetzt kann es richtig losgehen. Sicher wird nicht alles reibungslos verlaufen, aber die neuen, vielversprechenden Grundsteine sind gesetzt. So saßen wir, mein Vater, meine Mutter und ich, am
Abend des 05.03.22 zufrieden im Airbus A330-300 in Cotonou am Flughafen auf dem Weg zurück nach Brüssel. Diesmal kam es zu keinen Zwischenfällen, und so konnte der Kapitän pünktlich den
Schubhebel nach vorne drücken und in den beninischen Nachthimmel abheben.
Jan Wagner im März 2022